Viel zu spät, denn eine Pflicht für den Gesetzgeber ergab sich aus der Tatsache, dass dem Gesetz eine Richtlinie der EU, die sog. Hinweisgeberschutzrichtlinie, aus dem Jahr 2019 voraus ging, die eine Umsetzung der Richtlinie bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht vorsah.
Was will das Hinweisgeberschutzgesetz erreichen?
Das Hinweisgeberschutzgesetz will erstmals einen standardisierten Schutz für Hinweisgeber in der Europäischen Union festlegen. Das nun vorliegende Gesetz regelt insbesondere den Schutz natürlicher Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die internen oder externen Meldestellen weitergeben. Dies bezieht Beamtinnen und Beamte, Angestellte, aber auch Selbstständige, Gesellschafterinnen und Gesellschafter, Praktikanten, Freiwillige, Mitarbeitende von Lieferanten sowie Personen, deren Arbeitsverhältnis bereits beendet ist oder noch nicht begonnen hat und sich in einem vorvertraglichen Stadium befindet, mit ein. Zentral für den Hinweisgeberschutz ist, dass jegliche Repressalien und Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Hinweisgebenden verboten wird.
Ist das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft getreten?
Leider nein. Die große Enttäuschung folgte aber im Frühjahr. Nur eine Beschlussfassung im Bundestag reichte nicht aus. Am 10. Februar 2023 scheiterte der Gesetzentwurf im Deutschen Bundesrat, da die Bundesländer mit einer Regierungsbeteiligung der CDU und CSU erhebliche Bedenken geäußert und daher nicht für den vorliegenden Gesetzentwurf gestimmt haben.
Sind Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber nun weiterhin (fast) rechtlos?
Zum Glück nicht ganz, denn aus dem Europarecht ergeben sich eine Reihe von Verpflichtungen an die Mitgliedstaaten für den öffentlichen Bereich bereits mit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie nach dem 17. Dezember 2021. Die Mitgliedstaaten können sich nicht auf ihre eigene Untätigkeit berufen, die Richtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt zu haben und dabei potenziellen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern Rechte vorenthalten, die die Richtlinie ihnen gerade garantieren will.
Ein weitgehender Konsens herrscht im Zusammenhang mit der in der Hinweisgeberschutzrichtlinie formulierten unmittelbaren Verpflichtung zur Einrichtung einer internen Meldestelle für öffentliche Arbeitgeberinnen und -geber. Damit haben alle Beschäftigten schon heute im öffentlichen Dienst ein Recht, eine interne Meldestelle in ihrer Behörde in Anspruch nehmen zu können. Dieses Recht liegt auch dann vor, wenn der Staat im privatrechtlichen Kontext als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber tätig wird und damit öffentliche Aufgaben wahrnimmt.
Bleibt die Untätigkeit ohne Folgen?
Inzwischen hat die Europäische Kommission gegen Deutschland wegen des immer noch fehlenden Schutzes von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Neben Deutschland haben auch Estland, Italien, Luxemburg, Polen, Spanien, Tschechien und Ungarn die Richtlinie noch nicht umgesetzt. Sollten diese Länder auch weiterhin nicht ihrer Verpflichtung nachkommen, so kann die Europäische Kommission hohe Strafzahlungen beim Europäischen Gerichtshof beantragen. Im Jahr 2020 waren nur gegen Deutschland 81 Vertragsverletzungsverfahren anhängig.
Wie kann die deutsche Regierung schnell reagieren, um so Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern ausreichend Schutz bieten?
Die internationale Nichtregierungsorganisation „Transparency International“ sieht zwei Möglichkeiten im deutschen Gesetzgebungsprozess. Zum einen kann das jetzt vorliegende Gesetz aufgespalten werden – in einen Teil, der lediglich vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden muss, und einen weiteren Teil, der in angepasster Form nochmal in den Bundestag und anschließend in den Bundesrat eingebracht wird. Der Weg dafür ist lang, zu lang und nicht unumstritten, den Bundesrat auf diesem Weg in weiten Teilen zu umgehen.
Sehr viel wahrscheinlicher ist eine zweite Möglichkeit. Der Vermittlungsausschuss wird angerufen und dort wird ein Kompromiss zwischen den Abgeordneten des Bundestags und den Mitgliedern des Bundesrats gesucht. In den anstehenden Verhandlungen müssten noch einige Kontroversen ausgeräumt werden.
Welche Punkte werden heute noch kontrovers diskutiert?
Zentral ist die Frage, in welchen Fällen das Gesetz überhaupt Schutz bieten soll, denn das Gesetz geht in seiner vorliegenden Fassung weit über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung umfasst nicht nur Verstöße gegen das EU-Recht, sondern darüber hinaus auch Verstöße gegen das nationale Strafrecht und Ordnungswidrigkeiten, bei denen die Abgabe eines Hinweises geschützt werden soll. Dieses weite Verständnis ist jedoch richtig, denn andernfalls würden sich schwierige Fragen der Abgrenzung ergeben, in welchen Fällen das Gesetz einschlägig ist und schützt ober eben nicht.
Auch zu hohe Kosten für die Einrichtung von Meldekanälen werden in der Diskussion immer wieder genannt. Unbeachtet bleiben jedoch die Einsparung durch eine rechtzeitige Erkennung von Fehlverhalten und Verhinderung eines Schadens für die Reputation der öffentlichen Verwaltung. Schlussendlich wird die Gefahr eines Missbrauchs durch die Weitergabe von Hinweisen und die Gefahr des Denunzierens gesehen. Doch die wissenschaftlichen Daten geben hier eindeutig Anlass zur Entwarnung.
Es hat sich zudem erwiesen, dass anonyme Meldekanäle die Hemmschwelle für potenzielle Hinweisgebende deutlich senken. Außerdem ist die Motivation der hinweisgebenden Person erstmal sekundär: Wenn ein begründeter Verdacht für ein Fehlverhalten oder Missstand vorliegt, dann sollte diesem auch immer nachgegangen werden – zum Wohle aller.
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